Bereits im Jahr 2016 hatte der Bundesgerichtshof die Anforderungen an Patientenverfügungen konkretisiert. Ein entsprechender Blogbeitrag findet sich hier.
Mit einem Beschluss vom 8. Februar 2017 hat der BGH dies weiter präzisiert.
Eine Betroffene erlitt im Jahr 2008 einen Schlaganfall und befand sich danach in einem Wachkoma. Bereits im Jahr 1998 hatte sie eine Patientenverfügung errichtet und bestimmt, dass lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben sollen, wenn u.a. keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins bestünde. Darüber hinaus hatte sie mündlich mehrfach geäußert, dass sie in einem Fall des Wachkomas nicht weiter leben wolle und deshalb eine Patientenverfügung habe. In der konkreten Behandlungssituation kurz vor dem Wachkoma äußerte sie auch mündlich den Wunsch zu sterben.
Für die Betroffene wurden im Jahr 2012 ihr Sohn und ihr Ehemann zu jeweils alleinvertretungsberechtigten Betreuern bestellt.
Im Jahr 2014 wünschte der Sohn im Einvernehmen mit dem behandelnden Arzt, die künstliche Ernährung einzustellen. Der Ehemann der Betroffenen lehnte dies ab.
Der Sohn klagte daraufhin für die Betroffene auf Genehmigung der Einstellung der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr. Sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht wiesen die Klage ab. Der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung auf und verwies zurück an das Landgericht.
Eine betreuungsgerichtliche Genehmigung der Einstellung der künstlichen Ernährung sei dann nicht erforderlich, wenn wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer bindenden Patientenverfügung niedergelegt habe und diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutreffe. Eine schriftliche Patientenverfügung entfalte aber nur dann unmittelbare Bindungswirkung, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, bei Abfassung der Patientenverfügung noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können.
In dem vorliegenden Beschluss hat der BGH nun weiter präzisiert und ausgesprochen, dass sich die erforderliche Konkretisierung im Einzelfall auch bei einer weniger detaillierten Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben könne. Ob in solchen Fällen eine hinreichend konkrete Patientenverfügung vorliege, sei dann durch Auslegung der in der Patientenverfügung enthaltenen Erklärungen zu ermitteln.
Nach der Auffassung des BGH habe sich die Vorinstanz nicht ausreichend mit der Frage beschäftigt, ob das hier der Fall sei. Die Festlegungen in der Patientenverfügung könnten dahingehend auszulegen sein, dass die Betroffene im Falle eines aus medizinischer Sicht irreversiblen Bewusstseinsverlusts wirksam in den Abbruch der künstlichen Ernährung eingewilligt habe. Ob der derzeitige Gesundheitszustand der Betroffenen im Wachkoma auf diese konkret bezeichnete Behandlungssituation zutreffe, habe das Beschwerdegericht bislang nicht festgestellt.
Sollte das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis gelangen, dass der derzeitige Gesundheitszustand der Betroffenen nicht den Festlegungen der Patientenverfügung entspreche, werde es erneut zu prüfen haben, ob ein Abbruch der künstlichen Ernährung dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen entspreche. Dieser sei anhand konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln, insbesondere anhand früherer mündlicher oder schriftlicher Äußerungen, ethischer oder religiöser Überzeugungen oder sonstiger persönlicher Wertvorstellungen der Betroffenen. Entscheidend sei dabei, wie die Betroffene selbst entschieden hätte, wenn sie noch in der Lage wäre, über sich selbst zu bestimmen.
Quelle: Pressemitteilung des BGH
BGH, Beschluss vom 08.02.2017, XII ZB 604/15